Lebens-Schule
Covergeschichte erschienen in: Holzmagazin 6 / 2018
Diese Fassung ist der Directors Cut.
Foto: Das Architektenduo Takaharu und Yui Tezuka (c) Wolfgang R. Fürst
Neu gedacht - Im Hightechland Japan brachen die Architekten Takaharu und Yui Tezuka mit ihrem Fuji Kindergarten mit bestehenden Konventionen. Der viel beachtete Montessori-Kindergarten kommt bewusst ohne Räume, Spielgeräte und Klimaanlage aus – an Holz wurde nicht gespart.
Für den Nachwuchs zu bauen ist für die meisten Architekten einen Herzensaufgabe. Die Ergebnisse sind fast immer umweltverträglich, zukunftsorientiert und bieten ein erfreuliches Umfeld für die Kinder. Und doch bleiben die Umsetzungen meistens im Rahmen der üblichen Konventionen. Denn ein Kindergarten oder eine Schule ist vom jeweiligen Betreiber und der daraus resultierenden pädagogischen Haltung und Anforderung geprägt. Das aber genau diese Grundvoraussetzung auch zu komplette neuen Wegen führen kann zeigt der Fuji Kindergarten von Takaharu und Yui Tezuka, Inhaber von Tezuka Architects im Großraum Tokyo in Japan. Der von ihnen entworfene Kindergarten sprengt die bekannten Grenzen und wurde dafür mehrfach mit Preisen wie dem „Grand Award“ bei den Design for Asia Awards, „Kids Design Gold Prize“ vom Japanischen Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie oder als „Best of all“ von OECE/CELE 4th Compendium of Exemplary Educational Facilities ausgezeichnet. Im Internet kursiert er bei den TEDx Talks als „Welt bester Kindergarten“. Was aber macht diesen Kindergarten so besonders?
Entwürfe, die das Leben verändern
Die Kindergartenbetreiber Sekiichi Kato und seine Frau waren zuerst von dem Entwurf, der das Ehepaar Tezuka bekannt gemacht hatte – dem des Roof House - begeistert. Dabei hatten die Architekten ein Einfamilienholzhaus mit Zugängen für jedes Familienmitglied zum leicht schrägen Holzdach gebaut und damit die Dachfläche für alle als offener Raum zugänglich und nutzbar gemacht. Der einzige Schutz auf dem Dach war dabei eine Ecke, die einen Windschutz darstellt. Das gerade für Japan sehr ungewöhnliche Konzept änderte die Lebensgewohnheiten der Besitzerfamilie radikal. Nach anfänglicher Skepsis, wurde der offene Dachbereich ein tatsächlich ständig genutzter Raum – sowohl im Sommer, als auch im Winter. Von dieser Idee waren die Direktoren des Fuji Kindergartens so begeistert, dass sie die Architekten baten ihren Montessori-Kindergarten doch bitte „einfach“ ein Roof House für fünfhundert Kindergartenkinder zu bauen. Das stellte das Team vor beträchtliche Herausforderungen, denn das längliche Bestandsgebäude hatte eine ganz spezielle Atmosphäre, die die Architekten eigentlich nicht zerstören wollten. Auch befanden sich auf dem Grundstück drei schöne, große japanische Ulmen, die Teil des neuen Kindergartens bleiben sollten. Architekt Takaharu Tezuka fand den Ansatz so: „Es ging um Balance. Bevor wir dieses Projekt gemacht haben, haben wir nicht daran geglaubt, dass wir die Welt ändern können. Gerade in Japan ist die Gesellschaft sehr auf den Schutz der Kinder ausgerichtet. Alles ist sehr sauber, man schaut darauf, dass sie nicht nass werden oder das bei Hitze Air Condition vorhanden ist. Normalerweise sind die Räume getrennt und nur gleiche Altersstufen in einem ruhigen Umfeld zusammen. Mit dem Fuji Kindergarten haben wir verstanden, dass es immens wichtig ist, dass Kinder ein Teil der Umwelt sind. Das heißt für uns war es am wichtigsten zuerst die Philosophie für das Gebäude zu finden.“ Ein Ansatz, der mittlerweile das Markenzeichen für alle ihre Arbeiten geworden ist. Und so haben sie anstatt die Kinder präventiv unter eine Glasglocke zu stellen, ein Umfeld geschaffen, dass es dem Nachwuchs erlaubt Teil ihrer Umwelt zu sein, sie wahrzunehmen und mit ihr lernen und experimentieren zu können.
“Wenn wir etwas designen, dann muss es auch sofort funktionieren und Teil der Gesellschaft sein. Architektur ist Leben.
”
Offen, niedrig und oval
Der Kindergarten hat eine große ovale scheinende Form, in der die drei Ulmen in das Gebäude integriert wurden. Auch die Dachfläche scheint ein Oval zu sein, hat aber tatsächlich kein Zentrum, da es sich um die Umsetzung einer handgezeichneten Skizze in Verknüpfung mit einer Spline-Kurve handelt. Eine sehr japanische Lösung, die aber dem Gebäude ein besonderes Gefühl verleiht. Das Dach ist leicht geneigt, damit es eine Wasserabflussschräge hat. Die Traufe wurde auf das gesetzlich zulässige Limit abgesenkt. Die Höhe der zum Innenhof gerichteten Decke beträgt nur 2,1 m. Aufgrund der geringen Dachhöhe befindet sich die Dachoberseite nahe der Dachunterseite. Betrachtet man das Dach auf der anderen Seite des Hofes, sind gleichzeitig Ereignisse auf dem Dach zu sehen. Oben und unten sind damit nicht wie üblich optisch getrennt. Die Dachfläche neigt sich zum Hof hin, und selbst wenn eine Person weiter zurück auf das Dach geht, ist ihr ganzer Körper bis zu ihren Füßen sichtbar. Das Dach wird durch Geländer begrenzt, durch die Kinderbeine, aber keine Kinderköpfe passen. So ist die Gesamtfläche des Daches eine riesige Lauf- und Spielfläche, auf der man auch am Rand sitzen kann. Die ovale Form regt die Kinder zum Laufen an. Einige laufen allein in der Früh 30 Runden aus reiner Freude am Laufen. Die Bäume gehen direkt durch das ganze Gebäude und das Dach. Um die Bäume herum haben die Planer Netze gespannt und einen 1,1 m hohen Handlauf angebracht. Damit wurde sie automatisch zu begehrten Kletter- und Aufenthaltsflächen. 20 Oberlichten im Dach lassen den Blick in das und aus dem Gebäude zu. Eine Treppe führt vom Hof auf das Dach und eine Rutsche herunter. Es gibt keine zusätzlichen Spielgeräte. Das Kindergartengebäude wird das ganze Jahr über zu zwei Dritteln der Saison vollständig offen genutzt. Die Schiebetüren folgen direkt der verzerrten ovalen Form. Eine koreanische Ofen-Klimaanlage wurde im ganzen Gebäude installiert. Das Gebäude umgibt damit ein Mikroklima. Takaharu Tezuka schildert warum das für Kinder wichtig ist: „Gerade in hochentwickelten Ländern behandeln wir Kinder immer mehr wie Maschinen. Wir müssen aber den Atem spüren können, wir brauchen Bakterien und unterschiedliche Temperaturen. Unsere Architektur startet immer vom echten Leben. Das ist der Kern unserer Arbeit. Wir sollten uns also erinnern, wie und wofür wir als Menschen eigentlich konzipiert sind.“ Wetter und Bäume gehören für ihn da ganz natürlich dazu. Da die Bäume auch Teil des Gebäudes sind, wurde besonderer Wert darauf gelegt ihre Wurzeln zu bewahren. Um sie herum gibt es daher keine Fundamente.
Holzland Japan
Holz und Bäume haben in Japan generell einen besonderen Stellenwert, da sie das logische und natürliche Baumaterial sind. Das Inselreich ist zu 70 bis 80 Prozent von Wäldern bedeckt. Holz ist damit ein immer verfügbarer Rohstoff. Yui Tezuka: „Holzbauten sind sehr passend für das japanischen Klima. Wenn wir mit Holz bauen, bauen wir so, dass man die Gebäude öffnen kann. Wind ist wichtig im Haus, denn er sorgt für eine natürliche Belüftung. Besonders im Sommer, wo es in Japan sehr heiß und feucht ist.“ In Zahlen heißt das, dass es in Sommern durchaus normal ist über 35 Grad bei extrem hoher Luftfeuchtigkeit zu haben. Zu den beliebtesten Holzsorten der Architekten zum Bauen gehören Hinoki (Zypresse), die gerne für Paläste, Tempel und Schreine verwendet wird, Sugi (Japanische Zeder/Sicheltanne) und Kiefer. Aber es ist nicht nur das Klima, das Holz fordert. Es sind vor allem die Erdbeben. Richtig konzipierte Holzgebäude sind erstaunlich resistent und flexibel bei der hohen Energieeinwirkung durch Erdbeben. Und sollten sie es nicht aushalten, ist ihr Grundrohstoff sofort wieder verfügbar. Ein Rohstoff, der auch die Gebäude der Tezukas eindeutig bestimmt. So wurde für den Fuji Kindergarten im Innenraum zwar bewusst komplett auf Wände verzichtet, aber dafür nicht an hochwertigem Paulowina-Holz gespart. Es gibt Stapel von Holzblöcken, die das Gebiet jeder Gruppe anzeigen. Die Originalschachteln wurden von „Jyo Gakkai", einer Studentenorganisation des Musashi Institute of Technology – der Universität, an der Takaharu Tezuka Professor ist - erfunden. Sie produzierten sie ursprünglich für ein Campus-Festival aus MDF-Platten. Für den Kindergarten wurden sie weiterentwickelt und aus Paulownia (Blauglockenbaum)-Holz, das gleichzeitig die Eigenschaft hat leicht und stabil zu sein, hergestellt. Die Kinder lieben die Tatsache, dass sie keine eindeutige Festlegung habe. Sie funktionieren also wie Bausteine. Und so können sie auch die Erzieher gemeinsam mit den Kindern beliebig verwenden. Die Offenheit der Architektur zielt bewusst darauf ab, dass der Kindergarten den „gesunden Menschenverstand“ der Kinder fördert. Sie lernen durch das Gebäude drinnen und draussen, wie Räume und wie Gemeinschaft entsteht. Die Waschgelegenheiten wurden als Brunnen, um die man herumstehen kann konzipiert, um ihr soziales Verhalten zu fördern. Die Beleuchtung besteht aus Glühbirnen mit Schaltschnüren, die die Kinder selber bedienen können und sollen. Da keine Wände vorhanden sind, werden auch alle Geräusche zwischen Räumen übertragen. Die Kinder lernen Konzentration und Kooperation ganz natürlich. Die Ideen, die hier umgesetzt wurden sind innovativ und die Architekten mittlerweile auch Experten im pädagogischen Feld. Sie halten internationale Vorträge zu dem Thema, schreiben Bücher und haben viele weitere Projekte bereits erfolgreich umgesetzt. Die Möglichkeit durch ihre Architektur Leben zu verbessern, bleibt dabei aber ihr Hauptfokus. Yui Tezuka: „Für mich war bei dem Kindergarten am wichtigsten, dass nachdem das Gebäude fertiggestellt war und die Kinder angefangen haben es zu benutzen, es lebendig geworden ist. Als wir es gebaut haben, war es nur ein Gebäude. Aber als die Kinder angefangen haben es zu benutzen und herumzulaufen, habe ich gespürt, das die Architektur lebendig ist.“