Das Recht auf Zukunft
Artikel für: Zwei und Mehr - Das Familienmagazin / Herbst 2017
Foto (c) Die Moewe/Sabine Klimpt
Wie geht es den Kinderrechten 2017 in Österreich? Bei den Themen Gewalt, Armut, gesundheitliche Versorgung und Flüchtlingsbetreuung kann noch einiges verbessert werden.
Im internationalen Vergleich geht es Kindern und Jugendlichen in Österreich im Jahr 2017 grundsätzlich sehr gut: So dürfen bei uns fast alle Kinder in die Schule gehen. Es ist gesetzlich verboten, Kindern weh zu tun, also sie zu schlagen, sie zu beschimpfen oder sie einzusperren. Kein Kind muss arbeiten gehen, damit die Familie überhaupt etwas zu essen hat. Trotzdem, gibt es auch in Österreich in vielen Bereichen noch Verbesserungsbedarf. Laut dem Netzwerk Kinderrechte Österreich gibt es nach wie vor vier große Problemfelder:
Gewalt, Armut, mangelnde Kinder- und Jugendpsychiatrische Versorgung und Junge Flüchtlinge sind die Hauptthemen. Denn obwohl wir alle im gleichen Land leben, haben noch nicht alle Kinder dieselben Möglichkeiten.
Gewalt ändert seine Form
Dass trotz einer klaren Gesetzgebung - also einem absoluten Gewaltverbot - die „Watschn“ nach wie vor verharmlost wird, beweist eine Ende letzten Jahres durchgeführte Studie der Möwe Kinderschutzzentren. Sie hatten unter dem Titel „Bewusstsein und Einstellungen der ÖsterreicherInnen zum Thema Gewalt und Missbrauch an Kindern“ österreichweit 1000 Personen befragt. Das Ergebnis ist besorgniserregend: Denn auch wenn immerhin 95% der Befragten die „Tracht Prügel“ eindeutig als Gewalt benennen, wurde eine leichte Ohrfeige von lediglich 34% als gewaltvolle Handlung eingestuft. Aufklärungsbedarf gibt es auch bei den Themen psychischer Gewalt und emotionaler Vernachlässigung. So nehmen viele Erwachsene das Anschweigen des Kindes oder Bloßstellen vor den Freunden gar nicht als psychischen Gewaltformen wahr. Und obwohl die körperliche Gewalt generell abnimmt, nehmen andere Formen der Gewalt, wie Vernachlässigung, Gewalt unter Jugendlichen, Gewalt mittels neuer Medien und psychische Gewalt vor allem an Mädchen leider zu.
Armut wohnt nicht nur im Pappkarton
Aktuell leben laut Martin Schenk, dem Sozialexperte der Diakonie und Mitbegründer der Armutskonferenz, 114.000 Minderjährige in Österreich in manifester Armut. 18% der österreichischen Bevölkerung, das sind 1.542.000 Menschen, sind armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. Wer erwerbslos, alleinerziehend oder zugewandert ist, oder einen schlecht bezahlten und unsicheren Job hat, ist besonders armutsgefährdet. Und sind die Eltern von Armut betroffen, bleiben es oft auch die Kinder ihr ganzes Leben lang. Schenk: „Kinder, die in Armutsverhältnissen leben, haben arme Eltern. Jede Strategie gegen Kinderarmut muss deshalb auch eine Strategie für ein existenzsicherndes Einkommen der Eltern sein. Die wichtigen Faktoren für die Entwicklung der Kinder sind Anerkennung, Vertrauen, keine Beschämung und keine Existenzangst. Eine funktionierende Strategie gegen Kinderarmut muss den Kreislauf z. B. durch Bildung und Lernbedingungen, die integrieren, statt zu selektieren, durchbrechen.“
Tabuthema Psyche
In Österreich sind fast ein Viertel aller 10-18 Jährigen von einer psychischen Erkrankung betroffen. Zusätzlich leiden immer mehr Kinder und Jugendliche an sogenannten Lebensstil- und umweltbedingten Erkrankungen wie Adipositas, Allergien und chronische Erkrankungen. Auch Verhaltensauffälligkeiten, psychische Probleme und Mediensüchte nehmen zu. Seelische Erkrankungen von Kindern sind dabei leider immer noch ein Tabu. Es gibt zwar ein flächendeckendes Angebot an Kinderehabilitationszentren, aber nach wie vor keine Zentren für die Rehabilitation für Kinder und Jugendliche mit psychischen Erkrankungen. Dr. Christoph Hackspiel, Kinderpsychologe und Präsident der Kinderliga: „In unserer leistungsorientierten Gesellschaft kommen insbesondere Kinder und Jugendliche und deren seelische Bedürfnisse allzu oft unter die Räder. Mehr als die Hälfte der chronischen psychischen Krankheiten beginnen bereits im Jugendalter. Österreich schneidet laut HBSC Studie hier besonders schlecht ab.“ Hackspiel erklärt, dass die körperlichen und psychischen Einschränkungen von Kindern oft als reine familiäre „Privatprobleme“ gesehen werden. Dabei spielen bei den Betroffenen und ihrem Umfeld starke Gefühle wie Scham und Angst mit. Um die Situation zu verbessern, fordert die Kinderliga daher niederschwellige und kassenfinanzierte psychosoziale Angebote. Denn nur wenn Familien die Möglichkeit haben, bei psychischen Problemen ihrer Kinder kostenlose Hilfe in ihrer Nähe in Anspruch zu nehmen, wird nicht mehr weggeschaut.
Junge Flüchtlinge – ungleiche Rechte
Mit Ende Juni 2017 befanden sich 3.822 Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge österreichweit in der Grundversorgung. Die UN-Kinderrechtskonvention verspricht allen Kindern unabhängig von Status, Religion, Herkunft und Geschlecht die Deckung von essentiellen Bedürfnissen, Schutz und Beteiligung. In Österreich gelten aber für minderjährige Flüchtlinge nicht dieselben Rechte, wie für österreichische Kinder. So sind unbegleitete minderjährige Flüchtlinge derzeit während sie asylwerbend sind, von der Ausbildungspflicht bis 18 ausgeschlossen, Tagsätze sind unterschiedlich und eine Obsorge während der Wartezeit gibt es nicht. Lisa Wolfsegger, von der asylkoordination Österreich: „Wir fordern gleich Bedingungen in Bezug auf Bildung, Finanzierung und Obsorge. Es sollten gleiche Rechte für alle Kinder gelten. Das sind nicht Kinder zweiter Klasse.“ Die Kinder und Jugendlichen sind durch Kriege und Fluchterfahrungen oft traumatisiert und benötigen besonderen Schutz und Unterstützung. Wenn die Zeit vergeht, ohne zu helfen, vergeht auch die Chance auf eine bessere Zukunft.